Vor zehn Jahren zeigte sich der damalige US-Präsident Barack Obama beeindruckt von Prof. Dr. Yuri Shprits, als er ihn mit dem "Presidential Early Career Award for Scientists and Engineers" auszeichnete. Ein Preis, mit dem die US-amerikanische Regierung herausragende Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler würdigt. Zu dieser Zeit forschte der in Moskau geborene Wissenschaftler, der neben Physik und Mathematik auch Meteorologie und Ozeanografie studierte, noch in Los Angeles an der Universität von Kalifornien. Inzwischen arbeitet Prof. Dr. Yuri Shprits in Deutschland und leitet im nationalen Forschungszentrum für die festen Geowissenschaften, dem Helmholtz-Zentrum Potsdam - GeoForschungsZentrum (GFZ) die Sektion "Weltraumphysik und Weltraumwetter". Zudem hält er eine Professur für Astrophysik an der Universität Potsdam, am Institut für Physik und Astronomie. Er wurde in Moskau ausgebildet, hat weitere Spezialkenntnisse in den USA (Oklahoma und Kalifornien) erworben und schätzt die länderübergreifende wissenschaftliche Zusammenarbeit im Netzwerk des Europäischen Forschungsraums (EFR).
Unerforschte Welten entdecken
"Was ist magnetosphärische Physik?" Prof. Dr. Yuri Shprits lacht, als er die Frage hört. Er kennt die Frage und weiß mit Laien umzugehen, die mit seinem physikalischen Fachvokabular kaum etwas anfangen können. Der Weltraumforscher untersucht das Weltall – nicht im Raumanzug, sondern am Computer und mit komplexen Rechenoperationen. Er bewegt sich gedanklich in der Magnetosphäre, also in dem Bereich um einen Planeten oder einen Stern, der von dessen Magnetfeld dominiert wird. In dieser Region befinden sich geladene Ionen, Elektronen sowie neutrale Teilchen. Als Physiker ist er Experte für den Strahlungsgürtel eines Planeten, als Mathematiker entwickelt er Modelle, um komplexe Sachverhalte darzustellen. Seine Mission: das menschliche Verständnis der Dynamik von Strahlungsumgebung und ihrer Wirkung auf Satelliten dank Künstlicher Intelligenz (KI) und mit Hilfe von physikalischen Modellen zu verbessern. Dazu hat er Software-Codes entwickelt, um die dynamische Entwicklung der Strahlungsgürtel zu quantifizieren. Seine Fachgebiete Weltraumphysik und Weltraumwetter begeistern ihn nachhaltig: "Wir leisten Pionierarbeit, dringen in unerforschte Welten vor – das ist die Erfüllung eines Forschertraums. Zudem gefällt mir das grenzenlose Arbeiten, in der Wissenschaft spielen Ländergrenzen keine Rolle. Wir haben dasselbe Ziel, wir teilen unsere Daten, damit neue Erkenntnisse gewonnen werden können, wir entwickeln neue Technologien gemeinsam."
Satelliten vor Stürmen im All schützen
Seine wissenschaftlichen Erkenntnisse fließen in das europäische Forschungsprojekt PAGER ein. PAGER will die "Auswirkungen geomagnetischer Stürme und energiereicher Strahlung im Weltall besser voraussagen können". Ein Netzwerk von fünf Partnern aus Europa und den USA beobachtet das Wetter im Weltraum. Prof. Dr. Yuri Shprits erklärt, warum das so wichtig ist: "Wir haben eine wachsende Zahl von Satelliten im Weltraum. Dank ihnen funktionieren heute Navigationsgeräte in unseren Autos, morgen erleichtern sie uns vielleicht schon das autonome Fahren." Satelliten unterstützen auch die Wissenschaft, sie verfolgen die Bewegungen von Tieren, zum Beispiel von Zugvögeln. Die Überwachung ihrer Bewegungsmuster lässt Rückschlüsse über den Klimawandel, Krankheitsausbreitungen oder gar über sich anbahnende Naturkatastrophen zu.
Sonnenstürme als Gefahr für Investitionen
Die Satellitenindustrie gilt auch als eine besonders lukrative Sparte der Raumfahrt: Knapp 4.100 Satelliten kreisten im Frühjahr 2021 um die Erde. Der Umsatz der Herstellung, des Betriebs und der Wartung von Satelliten wuchs zwischen 2008 und 2018 kontinuierlich und lag 2020 bei 271 Milliarden US-Dollar. Diese Investitionen sollen geschützt werden.
PAGER leistet einen Forschungsbeitrag dazu, Satelliten im Weltall zu schützen. Sonnenstürme etwa, gewaltige Eruptionen an der Oberfläche der Sonne, die energiereiche Teilchen und Strahlung ins All schicken, beeinträchtigen die reibungslose Arbeit der Satelliten. Oder legen sie im schlimmsten Fall lahm, was dann auf der Erde zu Stromausfällen führt. "Weltraumwetterereignisse können die Leistung wichtiger Weltraum- und auch Bodeninfrastrukturen beeinträchtigen", sagt Yuri Shprits. Extremereignisse haben unter Umständen verheerende gesellschaftliche und wirtschaftliche Folgen, die potenziellen Kosten für Störungen und Schäden werden auf mehrere hundert Milliarden Euro geschätzt.
Gemeinsame Schutz- und Nachhaltigkeitsstrategien
Deshalb bündelt die EU ihre Anstrengungen, mit den Auswirkungen des Weltraumwetters umzugehen. Das Projekt PAGER wird im Rahmen des EU-Forschungsprogramms "Horizont 2020" gefördert – und entspricht damit der Idee des Europäischen Forschungsraums (EFR), über Ländergrenzen und Forschungsdisziplinen hinweg gemeinsam Schutz- und Nachhaltigkeitsstrategien zu entwickeln. Dass davon nicht nur die Forschung profitiert, sondern dass die Erkenntnisse der Wissenschaft auch der wirtschaftlichen Prosperität dienen, ist erklärtes Ziel im EFR.
Das Projekt PAGER hat eine Laufzeit von Januar 2020 bis Dezember 2022. Die Weltraumpartnerschaft wurde durch das EU-Forschungsprogramm "Horizont 2020" mit einer Summe von 2,3 Millionen Euro gefördert. Zu den Partnerinstitutionen des Deutschen GeoForschungsZentrums (GFZ) zählen die Universität von Warwick (Großbritannien), die Universität von Michigan (USA), Institute for Atmospheric Physics (IAP), die Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik sowie das französische Unternehmen "Artenum". Letzteres verknüpft Forschung und Industrie innerhalb eines Netzwerks von Hochschul- und Industriepartnern miteinander. Der Beirat des Projekts setzt sich zusammen aus den Leiterinnen und Leitern der Europäischen Weltraumorganisation (ESA), der zivilen US-Bundesbehörde für Raumfahrt und Flugwissenschaft (NASA) und der Wetter- und Ozeanografiebehörde der Vereinigten Staaten (NOAA).